Dr. forest Christoph Hoffmann

FDP setzt sich durch: keine flächendeckenden Lockdowns, Ausgangssperren oder Schulschließungen

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Die Corona-Pläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sorgen vielerorts für erhitzte Gemüter. Michael Werndorff sprach mit FDP-Bundestagsabgeordnetem Christoph Hoffmann über fraktionsinterne Spannungen und die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen.

Frage: Herr Hoffmann, die jetzt vorgestellten Corona-Maßnahmen für den Herbst stoßen nicht nur bei vielen Bürgern auf Kritik. Auch in Ihrer Partei rumort es. FDP-Vize Kubicki nennt die Maßnahmen-Pläne für den Herbst „nicht zustimmungsfähig“. Damit stellt er sich gegen Justizminister Buschmann.

Es gibt wie in jeder Faktion Debatten zu Sachfragen. Niemand in der FDP stellt sich gegen unseren Bundesjustizminister Marco Buschmann. Mein Kollege ist einer der klügsten Köpfe im Bundestag. Herr Buschmann ist Jurist; der naturwissenschaftliche Teil des Gesetzes stammt aus der Feder von Karl Lauterbach, dessen Vorschläge nicht immer stringent sind. Es ist völlig normal, dass ein Entwurf in den Fraktionen, im Parlament und im Bundesrat diskutiert und verändert wird. Gott sei Dank ist das so.

Die FDP hat in der Corona-Debatte lange dafür gekämpft, dass das Parlament in einem solchen Verfahren das letzte Wort haben muss und nicht ein Minister. Es gilt zudem das Strucksche Gesetz, dass kein Entwurf so das Parlament verlässt, wie er reingekommen ist.

Frage: Teilen Sie Kubickis Kritik an den Regelungen zur Maskenpflicht?

Konkret zur Maskenpflicht: Es gibt keinen Zweifel, dass Masken gut schützen. Und zwar jeden, der sie trägt. Daraus ergibt sich eine sinnvolle Freiwilligkeit. Die Experten sagen, und das ist auch meine persönliche Erfahrung, dass die Maskenpflicht zum Beispiel im öffentlichen Nahverkehr durchaus sinnvoll ist, im Freien jedoch nicht. Eine Maskenpflicht in definierten Bereichen wie im ÖPNV kann ich mittragen, wenn die Lage das erfordert. Die Maske hat einfach das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis aller Maßnahmen.

Frage: Auch frisch Geimpfte könnten sich infizieren und andere anstecken, kommentieren Kritiker die Maskenpflicht. Ignoriert die Politik wissenschaftliche Erkenntnisse?

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse werden nicht ignoriert, sie sind ja zentraler Teil der Debatte. Wir werden uns den vorgeschlagenen Text nun genau ansehen und mit Experten darüber diskutieren. Wenn Änderungen nötig sind, werden wir diese vornehmen, auch mit Blick auf die Ausgestaltung der möglichen Maskenpflichten. Aus meiner Sicht brauchen wir Gelassenheit, dass manches sich nicht verhindern lässt. Etwa die Durchseuchung mit Omikron, aber auch, dass Masken vor allem Eigenschutz sind.

Frage: Erachten Sie den Entwurf des Infektionsschutzgesetzes als praxistauglich?

Ich denke, an einigen Punkten müssen wir noch arbeiten. Die Bundesländer haben ja schon Entsprechendes angemerkt. Wir brauchen wenige, klare und einfache Regeln, die wissenschaftlich begründet sind. Der Entwurf lässt den Ländern viel Freiheit, auf verschärfte Infektionssituationen im Winter zu reagieren. Ich sehe aber die Gefahr, dass präventiv eher überreagiert wird.

Frage: Wo müsste nachgebessert werden?

Es macht keinen Sinn, die Menschen mit sanftem Zwang zu einer weiteren Impfung zu bewegen. Es gibt keine Empfehlung der Stiko zu einer vierten Impfung, und es gibt noch keinen wirksamen Impfstoff gegen Omikron. Eine Impfung ist nur Selbstschutz, das sollte jeder mit seinem Hausarzt besprechen. Wir brauchen dafür keine bundesweiten Regelungen, allenfalls Empfehlungen. Auch Masken im Freien machen wenig Sinn.

Frage: Im Gespräch mit unserer Zeitung sagte DEHOGA-Sprecher in BW, Daniel Ohl, die Politik müsse alles versuchen, eine 3-G-Regel in Gastronomie und Hotellerie zu vermeiden. Zu Recht?

Der Gesetzentwurf enthält keine 3-G-Zugangsregel – weder bundesweit noch haben die Länder die Möglichkeit, diese verpflichtend zu beschließen. Das ist gut so, denn ich halte sie für nicht wirklich praktikabel. Genesene oder Geimpfte können auch schon wieder ansteckend sein, Mehrfach-Infektionen mit Omikron sind häufig. Sollte ein Bundesland sich für eine Maskenpflicht in öffentlich zugänglichen Räumen entscheiden, eröffnen die zwingenden Ausnahmen von der Maskenpflicht in Innenräumen den Betreibern mehr Spielraum für unternehmerische Eigenverantwortung. Eine Gastronomin kann zum Beispiel nur Besucher mit Tests reinlassen, sodass Normalität ohne Maske mit einem sehr niedrigen Risiko besteht. Das Hausrecht ermöglicht es aber auch jedem Betreiber, nicht von den Ausnahmen Gebrauch zu machen.

Frage: „Alle Jahre wieder“: Das gilt nicht nur für steigende Infektionszahlen in der kalten Jahreszeit, auch die Politik diskutiert jedes Mal aufs Neue mögliche Maßnahmen. Hat man aus mehr als zweieinhalb Jahren Pandemie noch keine allgemeingültigen Lehren gezogen?

Es gibt für die Pandemie keine Blaupause. Wir lernen immer weiter dazu, und die Lage verändert sich von Alpha über Delta hin zu Omikron ständig. Wir sehen ja gerade jetzt eine für den Sommer ungewöhnlich große Welle, die wir kaum mehr erfassen können, weil die Leute sich nicht mehr testen lassen. Wir haben die neue Situation, dass die Krankenstände hoch, die Intensivstationen aber nicht mit Corona-Fällen gefüllt sind. Wir haben aber durchaus gelernt, dass Maßnahmen im Gießkannenprinzip nicht verhältnismäßig sind.

Die FDP hat deswegen durchgesetzt, dass flächendeckende Lockdowns, Ausgangssperren und vor allem Schulschließungen nicht mehr Teil des staatlichen Instrumentenkastens im kommenden Winter sein werden. Wir setzen auf bestimmte bereichsspezifische Schutzmaßnahmen und haben vor allem das Recht der Kinder auf schulische Bildung im Blick. Ich komme gerade von einer Dienstreise nach Westafrika zurück. Corona ist dort überhaupt kein Thema mehr, es geht im Grundrauschen aller Infektionskrankheiten unter. Das ist bei uns im Grunde genommen auch so.

Frage: Die Schweiz hat alle Corona-Regeln inklusive Quarantäne- oder Isolationsvorschriften für Infizierte im Frühjahr aufgehoben und derzeit keine Pläne für neue Maßnahmen. Auch in den Sommerwochen mit hohen Infektionszahlen gab es keine Einschränkungen. Sollte nicht auch Deutschland diesen Weg einschlagen und lernen, mit dem Virus zu leben?

Ich halte das für richtig. Auch andere Länder wie Spanien haben die Quarantäne- oder Isolationsvorschriften aufgehoben und haben keine wesentlich schlechteren Bilanzen als Deutschland. Dafür haben diese Länder weniger wirtschaftliche Schäden, weniger Bürokratie und weniger hitzige Debatten. Dazu braucht es aber Mut. Ich rechne nicht damit, dass der Winter infektionstechnisch eine Katastrophe wird. Ein pandemischer Virus wird mit neuen Varianten zwar ansteckender, aber auch harmloser. Das ist ein evolutionäres Gesetz. Aber es könnte auch eine lästige Dauerschleife werden.