Dr. forest Christoph Hoffmann

Warum 2023 das Jahr der Zeitenwende für die Entwicklungs-zusammenarbeit sein muss

Foto von Hanna Morris auf Unsplash

Das Jahr 2022 lässt uns betroffen und besorgt zurück. Krieg, Krisen und Konflikte stellen unsere Leitmotive Freiheit, Frieden und wirtschaftlicher Wohlstand vor große Herausforderungen.

Die geopolitischen Entwicklungen führen uns eindrucksvoll vor Augen, wie abhängig unser System von Partnern, wie verwundbar es ist. 2022 hat unsere Schwächen schonungslos offengelegt.

Die wirtschaftliche wie gesellschaftliche Bedeutung Deutschlands und Europas und die relative Kaufkraft im Vergleich zum Rest der Welt sinken. Die Gewichte verschieben sich hin zu China, Indien und den Pazifischen Raum. Die Idee, dass Europa weltweit höchste Standards setzen kann, wird zur Lebenslüge.

2022 hinterlässt ein klares Bild: Es geht nur gemeinsam. Gemeinsam mit denen, die unsere Werte teilen und bereit sind, sie zu verteidigen. Werte wie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit.

Gleichzeitig hat ein weltweiter knallharter Wettbewerb begonnen. Ein Wettbewerb um Rohstoffe, um Einfluss in geopolitisch relevanten Regionen, aber auch ein Wettbewerb der politischen Systeme: Demokratie versus Autokratie.

Die Entwicklungen machen eine Zeitenwende in der Entwicklungszusammenarbeit im Jahr 2023 notwendig. Eine Zeitenwende bedeutet harte Entscheidungen und klares Priorisieren im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), in den entsprechenden Gremien im Bundestag und in der Zivilgesellschaft. Entwicklungspolitik muss strategisch künftig mehr mit Wirtschaftspolitik und Geopolitik zusammengedacht werden.

Deutschland muss sich seine globalen Interessen klar machen und offen dazu stehen. Die Ampelkoalition ist mit der Vision angetreten, unsere Werte von Freiheit, Frieden und Nachhaltigkeit in die Welt zu tragen. Wenn wir als politisch gestaltende Kraft international Gewicht haben wollen, funktioniert das nur als relevante Wirtschaftsnation. Für eine starke Wirtschaft benötigen wir Rohstoffe wie Kobalt, Lithium und Nickel ebenso dringend wie große Mengen bezahlbare Energie aus Erneuerbaren Quellen – mehr, als wir in Deutschland auf absehbare Zeit produzieren können.

Die Rohstoffe sowie enormes Potenzial für Erneuerbare Energien gibt es in zahlreichen Entwicklungsländern. Unsere Energie- und Rohstoffversorgung kann mit Partnerschaften in Entwicklungsländern abgesichert werden. Im Gegenzug bietet Deutschland Entwicklungsprojekte, duale Ausbildung und Investitionen an. Damit können große Fortschritte bei der Armutsbekämpfung der Bevölkerung erreicht werden. Gleichzeitig erwirtschaften die jeweiligen Staaten mehr Steuergelder.

Dabei müssen wir uns von einem Handel abkehren, der nur den billigsten Lieferketten hinterherläuft.  Als eine der führenden Industrienationen mit globaler Verantwortung müssen wir neben geopolitischen und Versorgungsaspekten auch Sicherheits- und Menschenrechtsrisiken berücksichtigen.

Friendshoring heißt das Zauberwort. Konkret: Unsere Entwicklungszusammenarbeit auf die Länder konzentrieren, die unser Wertesystem teilen. Eine solche Herangehensweise wird von manchen Akteuren zurückgewiesen. Aber warum sollten wir uns, abseits der humanitären Hilfe selbstverständlich, bei der Entwicklungszusammenarbeit nicht auf vertrauenswürdige (Handels-)partner konzentrieren, auf die wir uns verlassen können?

Ein Beispiel: Die Taliban teilen unsere Werte wahrlich nicht. Auch deutsche und europäische Entwicklungspartnerschaften werden das Taliban-Regime nicht auf den Pfad der Menschenrechte und Demokratie bringen. Nur weil der deutsche Staat ebenso wie viele Nichtregierungs-Organisationen seit Jahrzehnten Entwicklungshilfe in Afghanistan leisten, in der Hoffnung, es könne sich dort etwas ändern, ist kein Argument mehr. Die deutschen Entwicklungsprojekte in Afghanistan stabilisieren und verlängern letztlich nur das menschenverachtende Regime und müssen umgehend beendet werden.

Ein Gegenbeispiel ist Kenia. Dort gab es weitgehend freie und faire Wahlen im September 2022 sowie eine friedliche Machtübergabe. Kenia ist treibende Wirtschaftskraft in Ostafrika und spielt sicherheitspolitisch eine wichtige Rolle in der Region. Gleichzeitig lebt mehr als ein Drittel der Bevölkerung in extremer Armut, die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch. Der UN-Botschafter Kenias, Martin Kimani, hat bei einer international hoch angesehenen Rede vor dem UN-Sicherheitsrat Russland für seine Invasion in die Ukraine stark verurteilt. Eine enge Partnerschaft zwischen Kenia und Deutschland ist eine Win-Win-Situation. Und wie der kenianische Botschafter zu Recht sagt, erwartet die Bevölkerung, dass die klare Positionierung gegen den russischen Angriffskrieg entsprechende Folgen für die Zusammenarbeit mit Europa hat.

In Zeiten eines Kriegs in Europa brauchen wir mehr Verbündete in der Welt. Mit von mancher Seite propagierten Tendenzen hin zu mehr Protektionismus und Autarkie von Handelspartnern wird Deutschland nicht weit kommen. Damit ernten wir nichts außer wirtschaftlichen Abschwung.

Friendshoring ist das Gegenteil von Protektionismus. Es bringt mehr Optionen, wirtschaftliche Resilienz und hebt die Eingrenzung auf wenige Lieferanten auf. Friendshoring muss zentraler Bestandteil der Sicherheitsstrategie des Auswärtigen Amtes werden, aber auch der Strategie des BMZ. Ansonsten drohen wir die Zeitenwende zu verschlafen.